Samstag, 28. Januar 2017

Imagekampagne oder Infokampagne?

... oder
Rettung der Realschule plus

Den werten Lesern dieses Posts empfehle ich zunächst die Lektüre meines Beitrages »Imagekampagne« in diesem Blog.

Es macht sich keine Genugtuung breit, wenn ich nun sehe, dass meine Vorhersagen zum Niedergang der Realschulen plus in RLP zunehmend Realität werden, faktisch und keineswegs postfaktisch. Ganz im Gegenteil stimmt es mich traurig, das Siechtum einer ehemals florierenden Schulart erleben zu müssen, der ich über mein ganzes berufliches Leben hinweg eng verbunden war. Und es macht mich wütend zu sehen, mit welch geringem Sachverstand und mangelnder Weitsicht die Macher dieser Misere zu Werke gegangen sind.
Nunmehr wird die »Imagekampagne« in die Tat umgesetzt. Die Landesschau aktuell des SWR berichtete am 24. Januar 2017 darüber. Den mit „Realschulen plus stellen sich vor“ betitelten Beitrag können Sie in der Mediathek des SWR, meine Transkription des Videos können Sie hier einsehen.

Beim Betrachten des Berichts/Videos fiel mir zuerst auf, dass dort von »Infokampagne« gesprochen wird, nicht von »Imagekampagne«. Ein Lapsus der Berichterstatter? Oder gar eine gewollte Umwidmung, aus der Erkenntnis gewachsen, dass man ein Image nur dann aufpolieren kann, wenn es faktisch ein schlechtes ist? Der neue Begriff „Infokampagne“ erscheint mir da wesentlich sachlicher, er zielt auf die Schließung informeller Lücken bei den „Abnehmern“, sprich den Eltern (zukünftiger Schüler).

Erlauben Sie mir einen kleinen Rückblick in die Schulgeschichte des Landes RLP. Zahlreiche Maßnahmen wurden ergriffen, um die Hauptschule vor dem Ruin zu bewahren. Ein freiwilliges 10. Schuljahr wurde etabliert, damit man auch dort die „mittlere Reife“, den Realschulabschluss erreichen konnte. Modifikationen des Systems wurden vorgenommen, Regionale Schulen und Duale Oberschulen genannt, zahllose Infokampagnen wurden gestartet, u. v. a. m.
Alles „für die Katz“! Die Hauptschule gibt’s nicht mehr.
Man könnte aber auch sagen „es gibt sie noch, nur heißt sie jetzt anders“.

Der Vertreter des VBE plädiert in seinem Wortbeitrag, das Abitur an RS+ zu ermöglichen, „und dass dann dieses Sterben in Anführungszeichen vielleicht nachlassen könnte.“ Selbst wenn man das machte – was ich nicht glaube – es wäre…?
Ja, richtig: für die Katz.
Da kann ich nur wiederholen: geringer Sachverstand und mangelnde Weitsicht sind immer noch oder schon wieder am Werk! Das hatten wir doch alles schon mal … und haben nichts gelernt?
Noch eine Anmerkung dazu:
Ist „Sterben in Anführungszeichen“ weniger schlimm als sterben? Ist es ein Synonym zu „dahinsiechen“?

Doch zurück zum Bericht über die Infokampagne und dessen kritischer Betrachtung.
Wen erreichte/erreicht dieser Beitrag?“, frage ich mich.
Zielführend wäre doch wohl nur, wenn möglichst viele Eltern, bei der die „Wahl“ nach der Grundschule noch ansteht, informiert würden.
Wie viele Menschen dieser Klientel waren da anwesend oder haben den Bericht darüber im Fernsehen gesehen? Wohl eher wenige, sehr wenige. Das Wort „Wahl“ habe ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Die haben sie ja offensichtlich nicht (Frau Lau: »Und es gibt auch viele Schüler, die natürlich auch erst zu uns kommen, wenn sie abgelehnt werden.«). Warum sollen Eltern sich für mögliche Wege/Abschlüsse an einer Schule interessieren, auf die sie resp. ihre Kinder gezwungen werden? Da kommt die Option „Fachabitur“ doch höchstens als Trostpflaster daher.
Wenn die Bildungsministerin Stefanie Hubig zutreffend äußert „Wir brauchen dringend Fachkräfte in Rheinland-Pfalz, und das ist eine Schulart, die sehr gut auf eine spätere Ausbildung, duale Ausbildung, vorbereitet, …“, dann ist das gewiss kein Argument für Eltern, die ihre Kinder dann dorthin schicken, um mit ihrem Nachwuchs einen Beitrag zur Beseitigung des Fachkräftemangels zu leisten! Für so manche Eltern kommt das als „Schönrederei“ daher.

Was extrahiert man aus dem Bericht bei aufmerksamer Betrachtung?“, frage ich mich des Weiteren. Einige Textzitate aus dem Bericht:
»85% der 800 Schüler haben einen Migrationshintergrund.«
Ich muss zugeben, dass ich den Kommentar hierzu zuletzt geschrieben habe. Zu heiß ist dieses Eisen, und schnell hat man sich den Mund verbrannt und wird in eine Ecke gestellt, in die man auf keinen Fall gehört. Jedoch ist das ein krasses Missverhältnis, welches die ehedem schwierige Integration noch problematischer macht und die tägliche Arbeit in der Schule erschwert.
Für solche Schulen müsste es ungeachtet der Standardregelungen (Klassengröße, Lehrerquote, …) unbedingt und dringlichst besondere Konditionen geben.

Ich bin mir nicht schlüssig, was diese Information bei den Eltern (ohne und mit Migrationshintergrund) bewirken wird. Auch frage ich mich, ob die betroffene Schule da ein Einzelfall ist, und ob etwas unternommen wird, um diese „Last“ innerhalb einer Kommune an den weiterführenden Schulen angemessen zu verteilen.
Da kommt mir die Parallelwelt in einer dänischen Stadt in den Sinn, in einem Vorort von Aarhus.
Dort war jüngst an einem Gymnasium der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund auf 80% gestiegen. Um dem Trend, dass die Dänen ihre Kinder lieber auf andere Schulen schickten, entgegenzuwirken, bildete der Rektor reine Ausländerklassen und Mischklassen mit je 50% dänischen und ausländischen Kindern. Natürlich rief das Kritiker auf den Plan, die von „Diskriminierung“, „Segregation“ und „Rassismus“ sprachen. Mit Blick auf das gewichtige Anliegen „Integration“ erschien mir dieses Konzept jedoch pädagogisch überaus sinnvoll und vernünftig! »Für wirkliche Integration in den Klassen müssen beide Gruppen ausreichend vorhanden sein«, sagte der Rektor. Was bitte ist daran falsch?
Bei einer Quote von 85% (im Mittel also 3 bis 4 von 25 Schülern) muss man schon nachdenken darüber, wer da wen worin „eingliedert“.

»In der Orientierungsstufe sind … meistens zwei Lehrer unterwegs.«
Was heißt „meistens zwei Lehrer unterwegs“? Bestimmt nicht, dass in allen Stunden und allen Fächern zwei Lehrkräfte im Team unterrichten! Misst man die faktische Realität an der Vorstellung, die diese Äußerung provoziert, dann ist man womöglich von dem Etikett „postfaktisch“ nicht weit entfernt.

 »Trotz kleiner Klassen und individueller Betreuung …«
Diese Aussagen sind insbesondere für Außenstehende nicht zu verstehen. Nach meinem Kenntnisstand sind die Schülerzahlen in allen hier relevanten Schularten ab Klassenstufe 7 einheitlich auf maximal 30 begrenzt, lediglich in der Orientierungsstufe liegen sie in RS+ bei 25, in IGS/Gym z. Zt. bei 28. Bei diesen Unterschieden von ca. ± 10% von „klein“ (und „groß“) zu sprechen, erweckt ein falsches Bild, insbesondere, wenn man auch die unterschiedlichen Bedingungen bedenkt.
„Individuelle Betreuung“ ist ein grundlegender Anspruch an Unterrichtsqualität. Es ist nicht richtig zu behaupten, sie fände hie und dort nur aufgrund äußerer Vorgaben (wie Lerngruppengröße bzw. Klassenmesszahlen) in höherem Maße statt als anderswo.

»Die Schülerzahlen sind rückläufig, die Konkurrenz zur Integrierten Gesamtschule und Gymnasium ist groß.« 
Mit Verlaub: Eine „Konkurrenz“ (für IGS/Gym) ist die Realschule plus sicherlich nicht! Ob da einige an David und Goliath denken, … und dass David gewonnen hat? In diesem „Kampf“ wird das gewiss nicht so sein! Bestätigt wird dieses Bild durch »Um im Kampf um gute Schüler bestehen zu können, …«, bei solchen Formulierungen beschleicht den Pädagogen doch ein eigenartiges Gefühl. Gemeinhin kämpft man doch nur um etwas, was selten ist und nicht reichhaltig vorhanden.
Frau Lau führt aus, dass das insbesondere in der Stadt so sei. Na klar, wenn auf dem Land die Alternativen weit weniger gegeben sind, keine oder nur wenige IGS/Gym in erreichbarer Nähe. Dann wäre es doch ein probates Mittel, in der Stadt das IGS/Gym-Angebot auszudünnen, zumindest aber nicht zu vergrößern, dann wird der Andrang auf die RS+ wachsen.

»Um Realschulen plus im Land beliebter und bekannter zu machen, dazu will das Ministerium die Infokampagne auch auf andere Landkreise ausweiten. Ob das reicht, mehr Eltern und Kinder zu überzeugen, zeigen die nächsten Schüleranmeldezahlen.« 
Diesen Schlusssatz des Berichts zu kommentieren, versage ich mir. Aber vielleicht sollte das Bildungsministerium eine professionelle Werbefirma beauftragen. Die haben Übung darin, …
(Hier schweigt des Sängers Höflichkeit!)

Gewundert habe ich mich, dass bei speziell diesem Bericht über die Infokampagne nur wenig oder nichts über die Schule selbst gesagt wurde, ob sie schmuck und bestens ausgestattet daherkommt, der Schulgemeinschaft eine Wohlfühlumgebung bieten kann, … insbesondere im Vergleich mit den „Konkurrenten“ IGS und Gymnasium. Oder bildet sich das schlechte Image auch darin ab?

Wenn Frau Hubig den Fachkräftemangel beklagt, so kann ich nur sagen: Das hat sich das Land RLP selbst eingebrockt. Wir hatten mal eine gute „Mittelstandsschule“ (sie hieß „Mittelschule“ oder „Realschule“), die diesen Bedarf hervorragend deckte. Mit dem Konstrukt „Realschule plus“ wurde im Grunde nicht die „Hauptschule“, sondern eben dieses Glanzstück Realschule abgeschafft. Was heuer auf dem Türschild steht, geht am Faktischen völlig vorbei.
Diese Schulen sind nun in doppelter Hinsicht gebeutelt:
Sie sind „auf der Jagd nach guten Schülern“ und müssen eine überproportional hohe Quote an Menschen mit Migrationshintergrund integrieren und qualifizieren.
So lange die Verantwortlichen für unser Bildungssystem daran nichts ändern oder das nicht zum Besseren wenden, können sie so viel Image- oder Infokampagnen machen, wie sie wollen – sie werden das Siechtum dieser Schulart nicht aufhalten.